Sprötze - Kreis Harburg
Als 1918 mein Vater starb, baten meine Brüder mich, von Amerika zurückzukehren, wo ich 5 ½ Jahre in den verschiedensten Landmaschinenbetrieben gearbeitet hatte und in der Universität Michigen Mech. Engineering studiert hatte. Mein Vater hatte aus kleinsten Anfängen in Moorburg eine kleine Flußschiffwerft aufgebaut, die meine Brüder übernommen hatten.
Meine in Amerika gewonnenen Erfahrungen im Treckerbau und in amerikanischen Fertigungsmethoden veranlassten mich zu dem Entschluß, in Deutschland einen Treckerbau zu beginnen, zumal mir die in Deutschland gebauten Traktoren recht rückständig erschienen und ich eine Anzahl neuer Ideen hatte, wie man einen guten Raupenschlepper bauen müßte.
Mit Begeisterung ging ich als junger Ing. gleich nach meiner Rückkehr 1919 daran in der kleinen Schlosserei meines Vaters Werft mit 6 Schlossern anzufangen. Schon nach wenigen Jahren war der MTW-Raupenschlepper erprobt und eine neue Werkstatt mit modernen Maschinen unter Einsatz meines Erbschaftsanteils erbaut.
Einige gute Fachkräfte aus Hamburg und Harburg sowie ein junger Konstrukteur aus meiner Jugendbekannschaft wurden in dieser Zeit meine Mitarbeiter. Der Raupenschlepper hatte große Erfolge und unsere Landwirte waren große Anhänger unseres Systems.
Nun wurde der Serienbau aufgezogen und bald war es möglich, schon täglich 1 Schlepper zu bauen. Die Bestellungen überstiegen unsere Fabrikation bei weitem.
Wir waren stolz und unser Aufstieg schien gesichert, bis plötzlich die Regierung uns einen Strich durch die Rechnung machte.
1926 entschloß man sich, einen Traktorenwettbewerb auszuschreiben, mit 3 Preisen von 100.000,--, 60.000,-- und 30.000,-- Goldmark.
Voller Begeisterung nahmen wir daran teil, kannten wir doch unsere Stärke an Leistung, Vielseitigkeit und Wirtschaftlichkeit.
Das Wirtschaftsministerium, Verkehrsministerium und Wehrministerium ernannten die Preisrichter. Außer Vertretern der Ministerien wurden alle namhaften Professoren, wie z.B. Prof. Fischer, Martini, Becke von den deutschen Hochschulen wie auch Kapazitäten der Landwirtschaft ernannt. Platz des Wettkampfes war Nauen und zwar auf den Gütern von Dr. Schurich, der ebenfalls zum Richterkollegium gehörte. Studenten der techn. Hochschule Charlottenburg kontrollierten den ordnungsgemäßen Ablauf der Prüfung. Alle damals bedeutenden Traktorenfirmen nahmen teil.
Nun geschah etwas für die Preisrichter Unfassbares. Am ersten der drei Leistungsprüfungstage wurden gleiche Mengen Brennstoff an alle Schlepper verteilt und es wurde ermittelt, welche Fläche und in welcher Zeit damit die Schlepper den Boden 20 cm tief pflügen konnten. Hierbei erzielte unser MTW-Raupenschlepper die 2 ½-fache Leistung der anderen. Man glaubte an Betrug und verdoppelte die Zahl der Studenten für den 2. Leistungstag, an dem 30 cm tief gepflügt werden sollte, so daß jeder Schlepper 2 Kontrollen erhielt, und siehe da, das fast gleiche Leistungsverhältnis wurde bestätigt. Am dritten Tage der Vielseitigkeitsprüfung zeigte sich wiederum unsere Überlegenheit dank der Wendigkeit, des geringen Bodendrucks und der hohen Zugleistung. Alle Resultate wurden veröffentlicht und niemand zweifelte daran, daß wir das Rennen gemacht hatten.
Nun begann die Dauerleistung von einem Monat. Bis auf 7 Schlepper waren infolge Bruchs oder sonstigen Versagens alle anderen Konkurrenten ausgeschieden. Am Ende des Monats verblieben nur noch 5 und nun kam die technische Untersuchung dieser Maschinen, die die Prüfung von Anfang an durchgestanden hatten ohne Defekten. Schon während der letzten Prüfungstage wurde ich zu Dr. Schurich gebeten und dieser bestellte 3 Schlepper für sein Gut. Als ich das Büro verließ, stieß ich auf Herrn Dir. Hofweber von Lanz, der mir erklärte, daß ich den Preis nicht gewinnen könne, obgleich ich durch den Verkauf meiner Schlepper an Dr. Schurich doch wohl die Bestätigung hätte, wie sich die Kapazitäten der Landwirtschaft selbst entschieden hatten. Ich konnte mir natürlich vorstellen, wie die große Firma Lanz entsetzt sein müßte über meine Erfolge. Auf meiner Rückfahrt gab mir die so bestimmt gegebene Äußerung aber doch zu denken.
Am letzten Tag der Prüfung wurde die Reihenfolge der Untersuchung bekanntgegeben. Dieses gab mir wieder zu denken, denn als erster wurde Lanz, als zweiter Hanomag, dann Pöhl und dann erst unser Schlepper bestimmt.
Nun warteten wir lange Wochen auf das Resultat, bis dann endlich das Urteil rauskam und Lanz den 1., Hanomag und Pöhl den 2. u. 3. Preis erhielten und unser kleiner siegreicher Schlepper disqualifiziert wurde, weil ein paar Zahnräder in unserem Schlepper Härtemängel aufwiesen. Später habe ich herausbekommen, daß ähnliche Mängel beispielsweise beim Hanomag auch vorhanden waren.
Die Enttäuschung war grenzenlos und meine Versuche, diese Entscheidung umzustoßen, blieben erfolglos. Mann verwies mich darauf, daß ich die Prüfungsbedingungen unterzeichnet hatte, die keine Anfechtung des Urteils zuließen. Ein Ministerialdirigent im Wirtschaftsmin., dem es wohl zum Bewusstsein kam, was man angerichtet hatte, gab mir dann eine Erklärung. Er sagte mir, daß die Preisprüfung nur den Zweck gehabt hätte, eine wirksame Konkurrenz in Deutschland gegen die amerikanische zu erreichen, um den leistungsfähigsten Unternehmen die gesamte Herstellung zuzuführen, indem die kleinen Unternehmen ausgeschieden werden. Meinen Einwand, man könne doch die besten Schlepper in den leistungsfähigsten Fabriken bauen, entgegnete er mit dem Hinweis, daß erfahrungsgemäß eine solche Kombination nicht zu erreichen ist.
Ich tröstete mich nach diesem schweren Schlag mit dem fatalistischen Motto: "Wer weiß, wofür es gut ist," und ich mußte mir nun überlegen, wie ich mein junges Unternehmen mit meinen guten Mitarbeitern, die sich an mich gebunden hatten, vor dem Verfall rettete.
Dieses geschah am besten, indem wir unsere Ketten, denen wir zur Hauptsache unsere Erfolge verdanken, weiter entwickelten. Anbauraupen für andere Fabrikate herstellten, z.B. für Fordson, Lanz u. Hanomag und sonstige Geräte entwickelten, die im Zusammenhang mit Schleppern Verwendung finden konnten. So kam es später zur Entwicklung der Grabenreinigermaschine und Ketten aller Art.
Es kamen nun schwere Jahre und manchmal schien es unmöglich, die Finanzierung des Betriebes zu sichern, Opfer seitens der Mutterfirma mußten gebracht werden und die letzten Reserven aus der Erbschaft wurden geopfert. Allmählich gelang es, die Wirtschaftlichkeit des Betriebes wieder herzustellen.
Das Wehrministerium, welches auch bei der Prüfung in Nauen zugegen war, hatte mit Bewunderung unsere Leistung in Nauen anerkannt und bat uns, auch Ketten für Wehrmachtsfahrzeuge herzustellen, insbesondere schnellere und straßenschonende Ketten zu bauen.
Hierzu waren unsere Anbauraupen mit Hanomag-Schlepper sehr geeignet. Das Problem war sehr interessant und brachte und auch finanzielle Entlastung. Besonders aber hatte ich die Hoffnung, durch diese Weiterentwicklung einmal wieder mit einem Raupenschlepper auf dem Markt gehen zu können, der wiederum einen großen technischen Vorsprung hatte. So kam es, daß dieser Kettenbau bei uns ein großer Faktor wurde. Auch für Lastwagen mit 3 Achsen wurde auf unsere eigene Initiative ein Kette für Henschel- und Büssing-Lastwagen hergestellt, für welche sich das Wehrministerium mehr interessierte und uns Aufträge gab.
In dieser Zeit, wo wir uns mehr auf andere Fabrikationsartikel verlegten, erhielten die 3 großen Traktorenfirmen erhebliche Kredite, bauten ihre Fabriken weiter aus und legten große Serien auf, um den ihnen gestellten Aufgaben gerecht zu werden. Je größer die Serien, um so billiger konnte man fabrizieren, wie Ford dieses der Welt als Beispiel in so hervorragender Weise gezeigt hatte. Mit einem Stundenlohn von $ 1,-- brachte er einen 20 PS Schlepper für $ 500,-- auf den Markt. Es wurde nun deutscherseits genauso falsch kalkuliert, wie später es die Volkswagenwerke taten. Man setzte Preise vorher herunter, ehe die Fabrikation diese praktisch erreicht hatten. Kalkulationsmäßig mußte der Preis erreicht werden, wenn man sich auf bestimmte Produktionszahlen einstellte. Bestimmt waren diese Kalkulationen richtig und nicht wie bei dem späteren Großbetrug des staatlich inspirierten Volkswagenwerks, wo das Werk mit deutschen Steuergeldern aufgebaut wurde und die Wagen von den vielen betrogenen Käufern im voraus bezahlt wurden. Die Wagen wurden nie geliefert, und die Wagen, die mit RM 995,-- kalkuliert wurden, kosteten später in Wirklichkeit ca. RM 4.000,--.
Ohne Zweifel ist dieses Prinzip der Fertigung hervorragend, wie Ford bewiesen hat, aber es ist gefährlich, wenn nicht dafür gesorgt wird oder gesorgt werden kann, daß der Absatz gesichert ist und die Gelder mit Sicherheit eingehen, wie bei Ford mit seinen weltberühmten Absatzorganisationen, wo die autorisierten Vertreter das Risiko des Verkaufes übernahmen.
Der Schlepper in der Landwirtschaft hatte seine Wirtschaftlichkeit noch nicht unter allen Umständen gegen das Pferd bewiesen und durch das Steigen der Brennstoffe wurde der Betrieb teurer, während die Produkte der Landwirtschaft billiger wurden. Außerdem waren die Traktoren noch mit Eisenrädern ausgerüstet, so daß Transporte und viele anderen Arbeiten noch nebenbei die Haltung einer großen Anzahl Pferde erforderlich machten. Jedenfalls begann der Absatz zu stocken und in den Traktorenfabriken füllten sich die Hallen mit Schleppern. Die kreditgebenen Banken wurden unruhig und verlangten ihre Gelder. Hierdurch gerieten die Fabriken in finanzielle Schwierigkeiten und verloren alle ihre Selbständigkeit, schließlich ihr gesamtes Vermögen und stellten die Fertigung ein.
Nun sah ich, welch ein Glück es für uns war, 1926 den großen Preis nicht erhalten zu haben. Wir wären auch mit in diesen Strudel geraten, während ich nun in einer langsamen Vorwärtsentwicklung mit anderen Erfindungen meine Fertigung und meinen Maschinenpark verbessern konnte. Dieses war 1931-32. Ich hatte einige weitere gute Mitarbeiter gewonnen und niemand wurde bei und arbeitslos. Trotzdem war es schwer, in dieser Zeit der wirtschaftlichen Depressionen den Betrieb wirtschaftlich zu gestalten ohne in Abhängigkeit zu den Banken zu geraten.
Ich bin überzeugt, daß es die staatliche Initiative war, die die 3 großen Traktorenfabriken ins Unglück gebracht hat, denn hier wurde die Empfindsamkeit, welche den privatwirtschaftlichen Betrieben in so hohem Grade eigen ist, ausgeschaltet und den Wünschen der staatlichen Lenkung nachgegeben. Die Fabriken wurden später von den Banken und anderen Geldgebern übernommen und Jahre später wieder in Betrieb gesetzt. Die früheren Besitzer und Schöpfer der Werke aber hatten ihr Geld verloren.
Es dauerte noch viele Jahre, bis der Traktorenbau wieder zu Ehren kam. In dieser Zeit nahm die Kettenentwicklung bei und immer mehr Raum ein, während die Grabenreinigungsmaschine, die uns bis 1934 sehr beschäftigte, vom Reichsarbeitsdienst beschimpft wurde, weil diese ihm die Arbeit wegnahm, die er für seine Männer zur Beschäftigung gebrauchte.
Unsere Ketten hatten auf allen Gebieten große Erfolge erzielt und das Wehrministerium erkannte die großen Vorteile derselben auch für ihre Zwecke und gab uns 1934-35 schon erhebliche Aufträge, die uns in dieser Zeit sehr aus unseren Schwierigkeiten herausbrachten.
Ich war stolz auf diese Erfolge, waren unsere Konkurrenten doch bedeutende Werke wie Daimler-Benz und auch ausländischen Fabrikate. Aber die einseitige Entwicklung missfiel mir, und so entschloß ich mich 1935 für eine Studienreise nach U.S.A., um die dortigen Traktorenentwicklung zu studieren.
Hier enden die Ausführungen von Karl Ritscher, ob er diesen Aufsatz irgendwann beendet hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Eigentlich dürfte er erst 1948 zum Schluß kommen.